2011

 

80637 München

Hanebergstraße - Braganzastraße

 

Umbau, Modernisierung und Umwidmung des denkmalgeschützten Heilig-Geist-Spitals

von Hans Grässel, Baujahr 1907

Bauteil Nord- und Südflügel

 

17 Eigentumswohnungen

Wohnfläche 3.850 m2

Baukosten € 7.900.000

 

mit

Elisabeth Lesche, Christian Henke

el:ch Landschaftsarchitekten

 

GEWOFAG Holding GmbH

 


Foto frr
Foto frr

 

hanebergstraße wa 3

metamorphose(n) methodisch

 

um die jahrhundertwende vom 19. zum 20., also in einer zeit, als die zunehmende industrialisierung zunehmende verstädterung initialisierte, erwarb die stadt münchen, in weiser voraussicht der kommenden eingemeindung gerns, im jahre 1899 das areal um den heutigen dom-pedro-platz. also in einer zeit, in der münchen auch von malerfürsten, architekten und stadtplanern beatmet wurde, wie z.b. german johann bestelmeyer, theodor fischer, franz von lenbach, den brüdern gabriel und emanuel von seidl, franz von stuck, friedrich von thiersch und anderen.

 

städtebauliche grundsätze erfuhren umbrüchlerische hintergründe, losgetreten von den protagonisten camillo sitte („der städtebau nach seinen künstlerischen gesichtspunkten“) und einem seiner freunde, von karl henrici, der eher pragmatiker. quasi „henricisch“ mutet uns das heute noch spürbare ensemble am dom-pedro-platz in münchen an, dem fischer als genialer planer und grässel als architekt ihre handschrift verliehen.

 

das mächtigste gebäude des platzes ist das grässelsche neubarocke hl. Geist-spital aus dem jahr 1907, um dessen nach osten gerichtete nord- und südflügel es sich bei vorliegender bauaufgabe vornehmlich handelt. also in einer zeit, in der adolf loos, der geniale - in brünn geborene wiener -, mit geistiger strenge die bürgerliche sogenannte „ornamentale geschmäcklerische gemütlichkeit“ in seinem werk „ornament und verbrechen“ (1908) quasi in pulverdampf aufgehen ließ, baute grässel schule und spital am platz.

 

nicht so ganz nach loos - der wetterte nach einem 3-jährigen aufenthalt in den vereinigten staaten mit louis h. sullivans worten nämlich, „es könnte uns nur zum besten gereichen, wenn wir für eine zeitlang das ornament beiseite ließen und uns ganz und gar auf die errichtung von ihrer nüchternheit schön geformter und anmutigen bauwerken konzentrieren“ - nicht so ganz nach loos (und sullivan), also in partiellen barocken aperçus wie eingangsportiken und giebelfeldern in der mansarde und ornamentierten erkern, terrassen und balkonen, dann doch aber von fast modern anmutender stringenz, was addierten raumachsen mit fensterreihen immergleicher proportion den heute so bewunderten status der „hierarchiefreiheit“ verleiht.

im ganzen eine durchaus kräftige baugruppierung mit mächtigem hauptgebäude und nebengebäuden an der hanebergstraße in august-exter-hafter sprache, z.b. der sprache der sogenannten „pasinger villenkolonie“. dieser baustil fand seine nahtlose fortführung im malerischen und heute noch begehrten wohnviertel gern.

 

der sprung in das heute wurde mittlerweile vollzogen.

die bayerische landeshauptstadt und die stiftungen „heiliggeistspital und dall´armiheim“ haben die grundstücke im straßengeviert dom-pedro-platz, braganza-, johann-schmaus-, haneberg- und taxisstraße mittlerweile verkauft, die nun die sanierung und neubebauung erwarten. ein städtebaulicher wettbewerb ist vom „bebauungsplan mit grünordnung nr. 1810 der landeshauptstadt münchen“ assimiliert und im anhängenden „kaufvertrag über grundstücke mit weiteren verpflichtungen“ präzisiert worden. man könnte den eindruck gewinnen, nicht alle im verfahren getroffenen regelungen entsprechen dem geiste grässels, fischers und schon gar nicht loos´, und die regelungen des ökologischen kriterienkatalogs der landeshauptstadt, der unverzichtbar auch hier anzuwenden ist, sind teilweise ein grober keil auf ein doch bedeutendes denkmalgeschütztes bauensemble in diesem quartier. dort heißt es nämlich z.b.: „im sinne der energieeinsparung sind fenster, auch treppenhausfenster, insbesondere an der nordseite auf ein sinnvolles maß zu beschränken“. die vorstellung, grässels „fenstertonalität“ an der hanebergstraße wäre nicht die, die sie ist, lässt einen resümieren, ob der verzicht auf derartige straßenbilder, wie die hier vorhandenen, das stadtbild nicht verarmen ließe. zumal die hinter den nordfassaden von nord- und südflügel liegenden räumlichkeiten mit ihren wiederkehrenden identischen lichtöffnungen in verbindung mit den großzügigen raumachsen allerbestes wohnen gewährleisten. und – das ist das geniale der baulichen vorgabe: der süden ist wie der norden konzipiert. solche baulichen konstrukte findet man allenfalls in den bergstaaten schweiz und österreich, die flache niederlande nicht zu vergessen, wo wohnungsbau oftmals mit größerer ambition gestaltet wird als bei uns.

 

diese beschriebenen vorgaben für die umnutzung von altenwohnen in „freien“ wohnungsbau lassen außergewöhnliche ergebnisse erhoffen und erwarten. klar geschnittene räume mit höchster gebrauchsqualität und angemessener belichtung, einbeschrieben in die vorhandene, allenfalls in technischer und konstruktiver hinsicht ertüchtigte vorhandene geschützte bausubstanz. und es gibt akkorde, zum anfang (erdgeschoß südflügel) und ende (mansarden und dachgeschoße nord- und südflügel) der grässelschen komposition, akkorde, die im volumen dieser gebäudeteile den richtigen nachhall finden.

 

war es doch so im bebauungsplan beschrieben, dass der quasi 2-geschoßhohe ehemalige wirtschafts- bzw. küchenbereich im erdgeschoß des südflügels durch die einrichtung einer kinderkrippe unwiederbringlich zerstört worden wäre. derartige einrichtungen sind selbstverständlich mit höchster priorität zu versehen, an einer solchen stelle aber nur, wenn es an alternativen gänzlich mangeln würde. diese einrichtung wird nun im angrenzenden neubau-wohngebiet wa 1 funktionaler und wirtschaftlicher realisiert. stattdessen entsteht hier nun ein raumkontinuum, das auf großzügigster fläche und beeindruckendem volumen vielfältigste nutzungen zulassen wird, sofern laut baurecht erlaubt und von nutzer/in gewünscht.

 

wohnen über die ebenen wird sich jeweils in den mansard- und dachbereichen der beiden gebäudeflügel entwickeln können. jeweils 3 wohneinheiten im norden sowie im süden beziehen den „offen gehaltenen“ oberen dachbereich mit seinem klaren raumprofil als erlebnisraum ein. störende einbauten sollen vermieden werden, nur das nötigste findet platz. die regelgeschoße werden durch die vorgefundene raumstruktur geprägt und als 2-spänner erschlossen. unprätentiös, mit „räumlicher noblesse“. auf die integration der unverzichtbaren freibereiche (loggien, dachterrassen) in das vorhandene gebäudevolumen wird geachtet, vor die fassade tretende bauteile entwickeln sich nur dort, wo sie von grässel im jahre 1904 ohnehin schon konzipiert waren, nämlich an den ostseiten der beiden gebäudeflügel. treppenhauszugänge sind jeweils straßenseitig angeordnet, das bedeutet verzicht auf fußläufigen „erschließungsverkehr“ im erholungsraum innenhof.

 

der schon zitierte adolf loos hatte sich beispielsweise bei der sogar das kaiserhaus erfassenden diskussion um das „haus am michaelerplatz“ in wien, direkt gegenüber der kaiserlichen hofburg, quasi apodiktisch gegen eine „zwanghafte Bewahrung“ gewohnter erscheinungsbilder gewandt.

dem vorwurf, „... er wolle zwar modern sein, habe aber ein haus gebaut, das in der tradition den alten wiener häusern entspricht ..." entgegnete er, „genau das habe ich beabsichtigt“. warum also die damalige aufregung?

und doch oder gerade deshalb ist besagtes gebäude in wien in seiner gestalt fern jeder geschmäcklerischen heimatkunst verortet, nicht reproduktion sondern neuanfang als weiterentwicklung der errungenschaften der zeit, kultur und des geistes der moderne.

und somit vorbild im denken für das „neue im alten“, grässels gebäude wird erkennbar in das jetzt transponiert, bei bewahrung des zu bewahrenden.

 

im vorliegenden fall besteht der eigentliche luxus aus fläche, volumen und licht, also raumqualität.

„die architektur will nicht mehr das dasein steigern; noch will sie sich ihm blindlings unterwerfen. sie dient dem lebendigen tage, um mich dieses goethischen ausdruckes zu bedienen; von ihm erhält sie ihr licht; ihm gibt sie dienst, deutung, dauer“

 julius posener, festvortrag auf dem 112.schinkelfest des architekten- und ingenieurvereins zu berlin am 13. märz 1967

 

fra / franke rössel rieger architekten